Autorin: Lilly Lindner
Dt. Titel: Was fehlt, wenn ich verschwunden bin
Dt. Erstausgabe: 19.02.2015
Verlag: S. Fischer
Format: Taschenbuch
Seitenzahl: 400
ISBN-10: 3733500938
ISBN-13: 978-3733500931
Preis: 9,99 €
April ist fort. Seit Wochen kämpft sie in einer Klinik gegen ihre Magersucht an. Und seit Wochen antwortet sie nicht auf die Briefe, die ihre Schwester Phoebe ihr schreibt. Wann wird April endlich wieder nach Hause kommen? Warum antwortet sie ihr nicht? Phoebe hat tausend Fragen. Doch ihre Eltern schweigen hilflos und geben Phoebe keine Möglichkeit, zu begreifen, was ihrer Schwester fehlt. Aber sie versteht, wie unendlich traurig April ist. Und so schreibt sie ihr Briefe. Wort für Wort in die Stille hinein, die April hinterlassen hat.
Anfang diesen Jahres erschien der erste Jugendroman der gefeierten Bestsellerautorin Lilly Lindner und eroberte die Herzen ihrer Fans im Sturm. Ein Roman, der einen direkt ins Herz trifft und eine Achterbahn der Emotionen auslöst.
Meine Meinung
April hat das Gefühl, nicht zu existieren. Nicht für ihre Eltern, ihre Freunde und den Rest der Welt. Nur ihre kleine Schwester Phoebe schafft es, ihr ab und an ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Aprils Einsamkeit führt dazu, dass sie nicht mehr isst und über Jahre hinweg immer mehr unter ihrer Krankheit leidet, bis sie schließlich in eine Klinik gehen muss. Für die kleine Phoebe bricht ohne ihre geliebte Schwester eine Welt zusammen, denn auch sie fühlt sich oft missverstanden. Um ihrer Schwester wenigstens im Geiste und im Herzen nahe sein zu können, beginnt Phoebe damit, ihrer Schwester Briefe zu schreiben.
Dass Lilly Lindner sich für einen Briefroman entschieden hat, scheint schon nach den ersten gelesenen Seiten die einzig richtige Wahl für diesen außerordentlichen Roman gewesen zu sein. In der ersten Hälfte lesen wir die Briefe der kleinen Phoebe, die so herzzerreißend, kindlich und gleichzeitig doch so erwachsen sind, dass es einem die Sprache verschlägt. Der zweite Teil besteht aus Aprils überwältigenden Antworten, sodass wir die Geschichte aus zwei Perspektiven erleben können. Durch diesen Stil scheint man als Leser vollkommen in die Persönlichkeiten der beiden Schwestern einzutauchen und man kann zu jeder Zeit genau das fühlen, was sie beim Schreiben gefühlt haben müssen. Ich habe mich immer wieder dabei ertappt, wie mich die Traurigkeit der beiden Mädchen erfasst hat und ich im nächsten Moment die Wut auf ihre Eltern und die Sehnsucht nach einander empfinden konnte.
Zwei außergewöhnlich starke Charaktere, die uns mit auf eine Reise voller Liebe, Verlust und grenzenloser Einsamkeit nehmen.
Phoebe ist die kleinere der beiden Schwestern und führt uns in die Geschichte ein. Die Briefe, die sie schreibt, sind für ein kleines Mädchen so wortgewandt und schlagfertig, dass man schnell den Eindruck hat, dass sie ein überdurchschnittlich intelligentes Mädchen sein muss. Die Art, wie sie die Welt sieht, wie sie sich ausdrückt und wie sie mit all dem Schmerz umgeht, sind so mitreißend, dass man den Drang verspürt, dieses kleine Mädchen in die Arme zu schließen und aus all dem familiären Chaos zu befreien.
April ist bereits im Teenageralter und hat sich von ihren Eltern nie richtige gesehen und geliebt gefühlt, was sie unter anderem in die Magersucht getrieben hat. Zwar liebt sie ihre kleine Schwester über alles, doch auch diese Liebe kann ihr nicht dabei helfen, ihre Krankheit zu besiegen. Sie weiß, dass Phoebe noch zu klein ist, um das ganze Ausmaß ihres Schmerzes zu begreifen, weswegen sie ebenfalls Briefe verfasst. Diese soll Phoebe aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten.
Während des Lesens, insbesondere im zweiten Teil, erfasst einen eine ungeheure Wut auf die Eltern der Geschwister. Sie werden als so ignorant dargestellt, dass man schnell glauben möchte, dass sie die wortwörtlichen Rabeneltern sind, die keinerlei Empathie für ihre eigenen Kinder und deren Gefühlswelten haben. Zwar habe ich mich zwischendurch gefragt, ob die radikalen Darstellungen tatsächlich der Wahrheit entsprechen können, oder vielleicht doch der kindlichen Naivität geschuldet und überspitzt sind, jedoch konnte ich mich nicht davon befreien, überwiegend Partei für die Geschwister zu ergreifen.
Der einzige minimale Kritikpunkt, den ich aufführen könnte, ist die sprachliche und stilistische Ähnlichkeit der Schreibstile von Phoebe und April. Da man dies aber auch als Darstellung ihrer Seelenverwandtschaft betrachten könnte, würde ich es keinesfalls als negativ einstufen, denn sie sorgen für keinerlei Störung im Lesefluss.
Fazit
Alles in allem hat Lilly Lindner mit diesem Roman in meinen Augen eine großartige Leistung vollbracht. Diese Wortgewalt und Poesie verdienen es, gelesen und geliebt zu werden und einen festen Platz in unseren Bücherregalen zu erhalten. Sie scheut sich nicht davor, dieses wichtige, aber meist tabuisierte Thema, offen anzusprechen und mit all seinen Schattenseiten darzustellen.
Dieses Buch wird mich gedanklich noch eine Weile beschäftigen und ich freue mich schon jetzt, mehr aus der Zauberfeder Lilly Lindners zu lesen, denn dies war zwar das erste, aber definitiv nicht das letzte Buch, das ich von ihr gelesen habe.
Da mir lediglich der gleichartige Schreibstil der Mädchen ein wenig nachteilig aufgefallen ist, kann ich diesem Buch mit voller Überzeugung 5/5 Punkten geben.
Die Autorin
Lilly Lindner hat keine Ahnung von Teilchenphysik und bipolaren Zwischenströmungen. Sie weiß auch nicht, wie viel Wasser man in
einen Teich kippen muss, um einen See zu erhalten; aber wie man Bücher schreibt – das weiß sie. Ihr Debüt ›Splitterfasernackt‹ stand monatelang auf der Bestsellerliste.
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